Lateinischer Text: | Deutsche Übersetzung: |
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Die vier Weltalter (Zeitalter), Vers 72-162, Liber primus | |
Neu regio foret ulla suis animalibus orba, astra tenent caeleste solum formaeque deorum, cesserunt nitidis habitandae piscibus undae, (75)terra feras cepit, volucres agitabilis aer. |
Und damit keine Zone ihrer eigenen Lebewesen beraubt sei, haben den Grund des Himmelsgewölbes die Gestirne und die Göttergestalten inne, wurden den glänzenden Fischen die Wellen zu Wohnung (wörtl. (als) zu bewohnende) zuteil, die Erde nahm die (wilden) Tiere auf, die Vögel die leicht bewegliche Luft. |
Sanctius his animal mentisque capacius altae deerat adhuc et quod dominari in cetera posset: |
Ein Lebewesen, das heiliger als diese und teilhaftig der tiefen Denkkraft (war), fehlte bis jetzt noch und (eines), das über die anderen herrschen konnte: |
Natus homo est, sive hunc divino semine fecit ille opifex rerum, mundi melioris origo, (80)sive recens tellus seductaque nuper ab alto aethere cognati retinebat semina caeli. |
Geschaffen wurde der Mensch, sei es, dass ihn jener Schöpfer der Dinge, der Ursprung der besseren Welt, aus göttlichen Samen machte, oder sei es, dass die frische und eben erst vom hohen Äther getrennte Erde noch immer Keime vom verwandten Himmel bewahrte |
Quam satus Iapeto, mixtam pluvialibus undis, finxit in effigiem moderantum cuncta deorum. |
Diese vermengte der Sohn des Iapetus mit den Wassern des Regens und gestaltete sie nach dem Bild der alles lenkenden Götter. |
Pronaque cum spectent animalia cetera terram, (85)os homini sublime dedit caelumque videre iussit et erectos ad sidera tollere vultus: |
Und während die übrigen Lebewesen nach vorn gebeugt auf die Erde blicken, gab er dem Menschen ein aufgerichtetes Antlitz und hieß ihn den Himmel ansehen und die Blicke emporgerichtet zu den Gestirnen heben: |
Sic, modo quae fuerat rudis et sine imagine, tellus induit ignotas hominum conversa figuras. |
So legte die Erde, die eben noch roh und ohne Gestalt gewesen war, verwandelt die (bis jetzt noch) unbekannten Gestalten der Menschen an. |
Aurea aetas | Goldenes Zeitalter (Weltalter) |
Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo, (90)sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat. |
Als erstes entstand das Goldene Zeitalter, das ohne strafenden Richter (wörtl. wobei es keinen … Richter gab), freiwillig, ohne Gesetz Treue und Recht pflegte. |
Poena metusque aberant, nec verba minantia fixo aere legebantur, nec supplex turba timebat iudicis ora sui, sed erant sine vindice tuti. |
Strafe und Furcht waren fern, weder fügten sich drohende Worte auf einer (öffentlich) angeschlagenen Erztafel zu einem Text, noch fürchtete die flehende Schar das Antlitz ihres Richters, sondern man war ohne Richter sicher. |
Nondum caesa suis, peregrinum ut viseret orbem, (95)montibus in liquidas pinus descenderat undas, nullaque mortales praeter sua litora norant; |
Noch nicht war die gefällte Fichte von den ihr bestimmten Bergen in die flüssigen Wellen herabgestiegen, um fremde Länder (wörtl. einen fremden Erdkreis) zu schauen, und die Sterblichen kannten keine Küsten außer den eigenen. |
Nondum praecipites cingebant oppida fossae; non tuba derecti, non aeris cornua flexi, non galeae, non ensis erat: sine militis usu (100)mollia securae peragebant otia gentes. |
Noch nicht umgürteten abschüssige Gräben die Städte, nicht (gab es) eine Tuba aus geradem, nicht (gab es) Hörner aus gekrümmten Erz, nicht Helme, nicht Schwerter: ohne Verwendung des Soldaten verlebten die Völker sorglos ihre behagliche Ruhe. |
Ipsa quoque inmunis rastroque intacta nec ullis saucia vomeribus per se dabat omnia tellus, contentique cibis nullo cogente creatis arbuteos fetus montanaque fraga legebant (105)cornaque et in duris haerentia mora rubetis et quae deciderant patula Iovis arbore glandes. |
Auch gab die Erde von selbst ohne Verpflichtung und unberührt von der Hacke und von keinen Pflugscharen verletzt freiwillig (wörtl. durch sich; für sich) alles; und zufrieden mit den ohne Zwang geschaffenen Speisen, sammelte man die Früchte des Erdbeerbaumes, die Bergerdbeeren, die Kornelkirschen und die auf rauhen Brombeersträuchern hängenden Brombeeren und die Eicheln, die vom breitästigen Baum Juppiters herabgefallen waren. |
Ver erat aeternum, placidique tepentibus auris mulcebant zephyri natos sine semine flores; |
Es war ewiger Frühling, und sanfte Westwinde berührten zart mit lauen Lüften die ohne Samen gesprossenen Blumen. |
Mox etiam fruges tellus inarata ferebat, (110)nec renovatus ager gravidis canebat aristis; flumina iam lactis, iam flumina nectaris ibant, flavaque de viridi stillabant ilice mella. |
Bald trug auch die ungepflügte Erde Feldfrüchte, und der nicht wieder bestellte Acker leuchtete (weiß) von vollen Ähren. Bald strömten (wörtl. gingen) Flüsse von Mild, bald Flüsse von Nektar dahin, und goldgelber Honig tropfte von der grünen Steineiche herab. |
Argentea aetas | Silbernes Zeitalter (Weltalter) |
Postquam Saturno tenebrosa in Tartara misso sub Iove mundus erat, subiit argentea proles, (115)auro deterior, fulvo pretiosior aere. |
Seitdem Saturn in die finstere Unterwelt geworfen war und die Welt unter Juppiters Herrschaft stand, folgte das Silberne Geschlecht nach, minderwertiger als Gold, (aber) wertvoller als das rotgelbe Erz. |
Iuppiter antiqui contraxit tempora veris perque hiemes aestusque et inaequalis autumnos et breve ver spatiis exegit quattuor annum. |
Juppiter verkürzte die Zeiten des einstigen Frühlings, und durch Winter und Sommer und unstete Herbste und einen kurzen Frühling ließ er das Jahr in vier Abschnitte ablaufen. |
Tum primum siccis aer fervoribus ustus (120)canduit, et ventis glacies adstricta pependit. |
Damals erglühte zum erstenmal die Luft, von trockenen Gluten verbrannt, und von den Winden festgefroren (wörtl. festgeschnürt), hing das Eis herab. |
Tum primum subiere domos; domus antra fuerunt et densi frutices et vinctae cortice virgae. |
Damals betrat man zum erstenmal Behausungen; Behausungen waren sowohl dichte Büsche als auch mit Bast verbundene Zweite. |
Semina tum primum longis Cerealia sulcis obruta sunt, pressique iugo gemuere iuvenci. |
Damals wurden zum erstenmal Getreidesamen (wörtl. Samen der Ceres) in langen Furchen vergraben, und vom Joch gedrückt, stöhnten die Jungstiere. |
Aenea Aetas | Brozenes Zeitalter (Weltalter) |
(125)Tertia post illam successit aenea proles, saevior ingeniis et ad horrida promptior arma, non scelerata tamen; de duro est ultima ferro. |
Als drittes folgte nach jenem das Bronzene Geschlecht nach, wilder in seinem Charakter und entschlossener zu schrecklichen Waffen, dennoch nicht verbrecherisch; Von hartem Eisen ist das letzte. |
Protinus inrupit venae peioris in aevum omne nefas: fugere pudor verumque fidesque. |
Sofort brach in das Zeitalter der schlechteren Metallader jeder Frevel: Es flohen Scham, Wahrheit und Treue. |
(130)in quorum subiere locum fraudesque dolusque insidiaeque et vis et amor sceleratus habendi. |
An ihre Stelle traten Betrug, List (beide eigtl. Pl.) Hinterhalt, Gewalt und verbrecherische Habgier. |
Vela dabant ventis nec adhuc bene noverat illos navita, quaeque prius steterant in montibus altis, fluctibus ignotis insultavere carinae, (135)communemque prius ceu lumina solis et auras cautus humum longo signavit limite mensor. |
Segel setzte den Winden der Seemann – er hatte jene bisher noch nicht genau (wörtl. gut) kennengelernt; und die Kiele, die lange auf hohen Bergen gestanden waren, tanzten auf unbekannten Wogen, und den Boden, (der) früher (allen) gemeinsam (war) wie das Sonnenlicht und die Lüfte, steckte der vorsichtige Feldvermesser mit einer langen Grenzlinie ab. |
Nec tantum segetes alimentaque debita dives poscebatur humus, sed itum est in viscera terrae, quasque recondiderat Stygiisque admoverat umbris, (140)effodiuntur opes, inritamenta malorum. |
Und nicht nur Saaten und geschuldete Nahrungsmittel wurden vom Boden gefordert, sondern man drang in die Eingeweide der Erde vor: Und die Schätze, die sie verborgen und den Schatten der Styx näher gebracht hatte, werden ausgegraben, die Lockmittel zum Bösen. |
Iamque nocens ferrum ferroque nocentius aurum prodierat, prodit bellum, quod pugnat utroque, sanguineaque manu crepitantia concutit arma. |
Und gleich waren das schädliche Eisen und das Gold – noch schädlicher als das Eisen – hervorgekommen: es kommt der Krieg hervor, der mit beiden kämpft, und mit blutiger Hand schüttelt er die klirrenden Waffen. |
Vivitur ex rapto: non hospes ab hospite tutus, (145)non socer a genero, fratrum quoque gratia rara est; |
Man lebt vom Raub, nicht ist der Gastfreund vor dem Gastfreund sicher, nicht der Schwiegervater vor dem Schwiegersohn; sogar die Bruderliebe ist selten. |
Inminet exitio vir coniugis, illa mariti, lurida terribiles miscent aconita novercae, filius ante diem patrios inquirit in annos: |
Es trachtet der Mann nach dem Tod der Ehefrau, (und) jene nach dem des Ehemanns; schreckliche Stiefmütter mischen bleichmachenden Eisenhut; der Sohn forscht vor der Zeit nach den Jahren des Vaters. |
Victa iacet pietas, et virgo caede madentis (150)ultima caelestum terras Astraea reliquit. |
Besiegt liegt darnieder das Pflichtgefühl, und die Jungfrau Astraea verließ als letzte der Himmlischen die vom Mordblut triefenden Länder. |
Neve foret terris securior arduus aether, adfectasse ferunt regnum caeleste gigantas altaque congestos struxisse ad sidera montis. |
Und damit der hohe Himmel nicht sichrer sei als die Länder, trachteten die Giganten, so erzählt man, nach der Himmelsherrschaft, trugen Berge zusammen und türmten sie bis zu den hohen Gestirnen. |
Tum pater omnipotens misso perfregit Olympum (155)fulmine et excussit subiecto Pelion Ossae. |
Da zerschmetterte der allmächtige Vater mit einem (herb)gesandten Blitz den Olymp und schleuderte den Pelion vom darunterliegenden Ossa herab. |
Obruta mole sua cum corpora dira iacerent, perfusam multo natorum sanguine Terram immaduisse ferunt calidumque animasse cruorem et, ne nulla suae stirpis monimenta manerent, (160)in faciem vertisse hominum; |
Als die ungeschlachten Leiber, bedeckt von eigenen Riesenbau, dalagen, war die Erde, so erzählt man, vom vielen Blut ihrer Söhne überströmt, ganz naß und hat das (noch) warme Blut belebt und, damit ja irgendwelche Erinnerungszeichen an ihre Nachkommen erhalten blieben, verwandelte sie es in die Gestalt von Menschen. |
Sed et illa propago contemptrix superum saevaeque avidissima caedis et violenta fuit: scires e sanguine natos. |
Aber auch jenes Geschlecht war ein Verächter der Götter und voll Begierde nach wildem Mord und gewalttätig: Man hätte wissen sollen, dass sie aus Blut geboren sind. |