Wie wir es auch immer können, wir sind zufrieden mit Baiae, das ich am folgenden Tag nach meiner Ankunft verlassen habe, ein Ort, der deswegen vermieden werde muss, weil er einige natürliche Vorzüge hat, weil die Verschwendungssucht ihn sich ausersehen hat, um zu feiern. |
Nos, utcumque possumus, contenti sumus Bais, quas postero die quam attigeram reliqui, locum ob hoc devitandum, cum habeat quasdam naturales dotes, quia illum sibi celebrandum luxuria desumpsit. |
‚Quid ergo? Ulli loco indicendum est odium?‘ Minime; sed quemadmodum aliqua vestis sapienti ac probo viro magis convenit quam aliqua, nec ullum colorem ille odit sed aliquem parum putat aptum esse frugalitatem professo: sic regio quoque est quam sapiens vir aut ad sapientiam tendens declinet tamquam alienam bonis moribus. |
„Was also? Muss der Hass irgendeinem Ort ankündigt werden?“ Keineswegs: aber wie irgendein Gewand einem weisen und tüchtigen mehr passt als irgendein (anderes), und jener nicht irgendeine Farbe hasst, sondern glaubt, sie sei zu wenig geeignet, nachdem man Genügsamkeit bekannt hat: So gibt es auch die Umgebung, die ein kluger Mann oder einer, der zur Weisheit hinstrebt, meiden soll wie eine dem guten Charakter fremde. |
Itaque de secessu cogitans numquam Canopum eliget, quamvis neminem Canopus esse frugi vetet, ne Baias quidem: Deversorium vitiorum esse coeperunt. |
Deshalb wird der, der über ein zurückgezogenes Leben nachdenkt, niemals Canopum auswählen, wenn Canopus auch es niemandem verbietet, rechtschaffen zu sein, nicht einmal Baiae: Es hat begonnen, Herberge von Lastern zu sein. |
Illic sibi plurimum luxuria permittit, illic, tamquam aliqua licentia debeatur loco, magis solvitur. |
Dort erlaubt sich die Verschwendungssucht sehr viel, dort wird, als ob irgendeine Freizügigkeit dem Ort geschuldet werde, lässt man sich eher gehen. |
Non tantum corpori sed etiam moribus salubrem locum eligere debemus: Quemadmodum inter tortores habitare nolim, sic ne inter popinas quidem. |
Nicht nur dem Körper, sondern auch dem Charakter sind wir es schuldig, einen heilsamen Ort auszuwählen: Wie ich mich nicht unter Folterknechten aufhalten will, so will ich es nicht einmal in der Nähe von Kneipen. |
Videre ebrios per litora errantes et comessationes navigantium et symphoniarum cantibus strepentes lacus et alia quae velut soluta legibus luxuria non tantum peccat sed publicat, quid necesse est? |
Was ist nötig, um Betrunkene zu sehen, die durch die Küsten irren, und Gelage von Segelnden und Seen, die vor den Klängen der Konzerte dröhnen und anderes, das die gleichsam von Gesetzen gelöste Verschwendungssucht sündigt, sondern auch zur Schau stellt? |
Id agere debemus ut irritamenta vitiorum quam longissime profugiamus: Indurandus est animus et a blandimentis voluptatum procul abstrahendus. |
Das müssen wir tun, um vor den Reizmitteln der Laster so weit wie möglich zu flüchten: Der Geist muss abgehärtet und von den Schmeicheleien der Lüste weit ferngehalten werden. |
Una Hannibalem hiberna solverunt et indomitum illum nivibus atque Alpibus virum enervaverunt fomenta Campaniae: Armis vicit, vitiis victus est. |
Ein einziges Winterlager hat Hannibal gebrochen und die wärmenden Hüllen Kampaniens haben jenen Mann, der weder von Schnee noch von den Alpen in die Knie gezwungen worden war, entkräftet: Mit Waffen hat er gesiegt, besiegt wurde er von den Lastern. |
Nobis quoque militandum est, et quidem genere militiae quo numquam quies, numquam otium datur: debellandae sunt in primis voluptates, quae, ut vides, saeva quoque ad se ingenia rapuerunt. |
Auch wir müssen Kriegsdienst leisten, und zwar in einer Art Kriegsdienst, in der niemals Ruhe, niemals Muße gegeben wird: besonders die Gelüste müssen bekriegt werden, die, wie du siehst, sich auch wilde Talente an sich gerissen haben. |
Si quis sibi proposuerit quantum operis aggressus sit, sciet nihil delicate, nihil molliter esse faciendum. |
Wenn irgendjemand sich vor Augen führt, wieviel Mühe er auch sich genommen hat, wird er wissen, dass nichts schwächlich, nichts leicht gemacht werden darf. |
Quid mihi cum istis calentibus stagnis? Quid cum sudatoriis, in quae siccus vapor corpora exhausurus includitur? Omnis sudor per laborem exeat. |
Was habe ich mit diesen Warmwasserbecken? Was mit den Schwitzbädern, in die trockener Dampf hineingeblasen wird, um die Körper zu erschöpfen? Jeder Schweiß soll durch Arbeit bewirkt werden. |
Si faceremus quod fecit Hannibal, ut interrupto cursu rerum omissoque bello fovendis corporibus operam daremus, nemo non intempestivam desidiam, victori quoque, nedum vincenti, periculosam, merito reprehenderet: Minus nobis quam illis Punica signa sequentibus licet, plus periculi restat cedentibus, plus operis etiam perseverantibus. |
Wenn wir tun würden, was Hannibal gemacht hat, nämlich nach dem Unterbrechen des Laufes der Dinge und dem Aufgeben des Krieges sich mit dem Wärmen unserer Körper Mühe zu geben, würde jeder das unzeitige Faulenzen, das für den Sieger, ganz zu schweigen von dem um den Sieg Kämpfenden, gefährlich ist, verdientermaßen tadeln: Es ist uns weniger als denen die den Punischen Zeichen folgten, erlaubt, für die, die weichen, bleibt mehr Gefahr, denen, die ausharren, sogar mehr Arbeit übrig. |
Fortuna mecum bellum gerit: non sum imperata facturus; iugum non recipio, immo, quod maiore virtute faciendum est, excutio. |
Mit mir führt das Schicksal Krieg: ich werde nichts (von ihm) Befohlenes tun; ich nehme das Joch nicht auf mich, im Gegenteil, was mit größerer Leistung gemacht werden muss, schüttele ich ab. |
Non est emolliendus animus: Si voluptati cessero, cedendum est dolori, cedendum est labori, cedendum est paupertati; idem sibi in me iuris esse volet et ambitio et ira: Inter tot affectus distrahar, immo discerpar. |
Der Geist darf nicht erweicht werden: Wenn ich der Lust weiche, muss man dem Schmerz weichen, der Arbeit und der Armut; dasselbe Recht will mir gegenüber sowohl Ehrgeiz als auch Zorn sein: Ich werde zwischen so vielen Leidenschaften zerrissen, ja sogar zerstückelt werden. |
Libertas proposita est; ad hoc praemium laboratur. |
Die Freiheit ist in Aussicht gestellt; auf diese Belohnung arbeitet man hin. |
Quae sit libertas quaeris? Nulli rei servire, nulli necessitati, nullis casibus, fortunam in aequum deducere. |
Was die Freiheit ist, fragst du? Keiner Sache dienen, keiner Notwendigkeit, keinen Zufällen, das Schicksal auf die gleiche Ebene hinunterführen. |
Quo die illam intellexero plus posse, nil poterit: Ego illam feram, cum in manu mors sit? |
An jenem Tag, an dem ich verstehe, dass ich mehr vermag, wird es nichts vermögen: Ich soll es ertragen, obwohl sich der Tod in meiner Hand befindet? |
His cogitationibus intentum loca seria sanctaque eligere oportet: Effeminat animos amoenitas nimia, nec dubie aliquid ad corrumpendum vigorem potest regio. |
Mit solchen Gedanken beschäftigt, soll man ernste und heilige Örtlichkeiten auswählen: Zuviel Lieblichkeit verweichlicht den Geist und unzweifelhaft vermag die Umgebung etwas zur Schwächung der Kraft. |
Quamlibet viam iumenta patiuntur quorum durata in aspero ungula est: In molli palustrique pascuo saginata cito subteruntur. |
Einen beliebigen Weg ertragen Zugtiere, deren Huf auf rauhem Boden abgehärtet wurde: Auf weichem und sumpfigen Weideland gemästetes Vieh tritt sich schnell die Hufe ab. |
Et fortior miles ex confragoso venit: Segnis est urbanus et verna. |
Und ein ziemlich tapferer Soldat kommt aus einer holprigen Gegend: Träge ist der Städter und der im Haus geborene Sklave. |
Nullum laborem recusant manus quae ad arma ab aratro transferuntur: In primo deficit pulvere ille unctus et nitidus. |
Keine Arbeit lehnen die Hände ab, die zu den Waffen vom Pflug geholt werden: Beim ersten Staub erlahmt der, der gesalbt und wohlgenährt ist. |
Severior loci disciplina firmat ingenium aptumque magnis conatibus reddit. |
Die strengere Zucht der Umgegung stärkt die Begabung und macht sie geeignet für große Anstrengungen. |
Literni honestius Scipio quam Bais exulabat: Ruina eiusmodi non est tam molliter collocanda. |
Scipio wird seine Verbannung in Liternus ehrenvoller als in Baiae verleben: Sein Sturz darf nicht so leicht hingestellt werden. |
Illi quoque ad quos primos fortuna populi Romani publicas opes transtulit, C. Marius et Cn. Pompeius et Caesar, exstruxerunt quidem villas in regione Baiana, sed illas imposuerunt summis iugis montium: Videbatur hoc magis militare, ex edito speculari late longeque subiecta. |
Auch jene, denen das Schicksal als ersten die Staatsmacht des Römischen Volkes übertrug, nämlich Gaius Marius, Gnaeus Pompeius und Gaius Caesar, haben zwar einige Landhäuser in die Umgebung von Baiae gebaut, aber sie errichteten sie auf den höchsten Gipfeln der Berge: Das schien soldatischer, von oben das weit und breit darunterliegende Land zu beobachten. |
Aspice quam positionem elegerint, quibus aedificia excitaverint locis et qualia: Scies non villas esse sed castra. |
Schau, wie sie die Lage ausgewählt haben, auf welchen Plätzen sie ihre Gebäude erbauen ließen und welche: Du wirst wissen, dass es keine Landhäuser, sondern Lager sind. |
Habitaturum tu putas umquam fuisse illic M. Catonem, ut praenavigantes adulteras dinumeraret et tot genera cumbarum variis coloribus picta et fluvitantem toto lacu rosam, ut audiret canentium nocturna convicia? |
Glaubst du, dass Marcus Cato jemals im Begriff gewesen war, dort zu wohnen, um vorbeisegelnde Ehebrecherinnen zu zählen und soviel Arten von Kahnen die mit verschiedenen Farben bemalt sind und eine Rose, die auf dem ganzen See, schwimmt, um die nächtlichen Beschimpfungen der Singenden zu hören? |
Nonne ille manere intra vallum maluisset, quod in unam noctem manu sua ipse duxisset? |
Hätte er etwa nicht lieber innerhalb des Walles bleiben wollen, den er in einer Nacht mit seiner Hand selbst aufgeführt hätte? |
Quidni mallet, quisquis vir est, somnum suum classico quam symphonia rumpi? |
Warum will er nicht lieber wollen, wer auch immer ein Mann ist, dass sein Schlaf von einem Signalruf als von Orchestermusik gestört wird? |