Ubi se colligebat, verecundiam, bonum in adulescente signum, vix potuit excutere; adeo illi ex alto suffusus est rubor. |
Als er sich sammelte, konnte er kaum eine gewisse Beschämung verbergen und das ist für einen Jüngling erfreulich: So sehr lag tiefe Schamröte auf seinem Gesicht. |
Hic illum, quantum suspicor, etiam cum se confirmaverit et omnibus vitiis exuerit, sapientem quoque sequetur. |
Sie wird, vermute ich, ihn auch dann noch begleiten, wenn er, zur Männlichkeit voll herangereift, alle Jugendfehler abgelegt hat, sogar als Weisen noch. |
Nulla enim sapientia naturalia corporis aut animi vitia ponuntur: quidquid infixum et ingenitum est lenitur arte, non vincitur. |
Denn keine Weisheit vermag körperliche Naturfehler oder geistige zu tilgen: Alles, was von Natur eingewurzelt, was uns angeboren ist, vermag Kunst höchstens abzuschwächen, keineswegs zu überwinden. |
Quibusdam etiam constantissimis in conspectu populi sudor erumpit non aliter quam fatigatis et aestuantibus solet, quibusdam tremunt genua dicturis, quorundam dentes colliduntur, lingua titubat, labra concurrunt: Haec nec disciplina nec usus umquam excutit, sed natura vim suam exercet et illo vitio sui etiam robustissimos admonet. |
Bei manchem wirklich robusten und kerngesunden Manne bricht vor versammeltem Volk der Schweiß aus wie bei erschöpften oder erhitzten Menschen, manchem zittern, wenn er eine Rede halten soll, die Knie, andere bekommen das Zähneklappern, ihre Zunge fängt an zu stammeln, die Lippen bleiben aufeinander gepresst: Keine strenge Selbstzucht, keine Übung beseitigt Erscheinungen wie diese, die Natur siegt, sie läßt darin nicht nach, erinnert sie doch durch solche Fehler auch die Kräftigsten immer wieder an ihre Allgewalt. |
Inter haec esse et ruborem scio, qui gravissimis quoque viris subitus affunditur. |
Zu den Erscheinungen dieser Art kenne ich das Rotwerden, das selbst ehrfurchtgebietende Männer urplötzlich überfällt. |
Magis quidem in iuvenibus apparet, quibus et plus caloris est et tenera frons; nihilominus et veteranos et senes tangit. |
Zwar tritt es ganz besonders bei jungen Menschen auf, die noch jugendlich wallendes Blut besitzen und allem noch zarter, weicher die Stirn bieten; Doch auch wettergehärtete Männer, selbst Greise überwältigt es. |
Quidam numquam magis quam cum erubuerint timendi sunt, quasi omnem verecundiam effuderint; Sulla tunc erat violentissimus, cum faciem eius sanguis invaserat. |
Allein, es gibt auch Menschen, die man nie ängstlicher zu fürchten hat, als wenn sie erröten, gerade als ob sie sich allen Schamgefühls entledigt hätten. Sulla z. B. erwies sich als sehr gewaltbereit immer dann, wenn ihm das Blut ins Gesicht schoß. |
Nihil erat mollius ore Pompei; numquam non coram pluribus rubuit, utique in contionibus. |
Umgekehrt war kein Antlitz milder und und nachgiebiger als das des Pompeius; Stets,(Numquam non – Litotes) wenn er sich in einem größeren Kreise befand, errötete er, und ganz unabwendbar dann, wenn er in der Volksversammlung zu sprechen hatte. |
Fabianum, cum in senatum testis esset inductus, erubuisse memini, et hic illum mire pudor decuit. |
Fabianus, erinnere ich mich, wurde rot, wenn er im Senat als Zeuge aufzutreten hatte, eine Schamröte, die ihm wider Erwarten gut zu Gesicht stand. |
Non accidit hoc ab infirmitate mentis, sed a novitate rei, quae inexercitatos, etiam si non concutit, movet naturali in hoc facilitate corporis pronos; nam ut quidam boni sanguinis sunt, ita quidam incitati et mobilis et cito in os prodeuntis. |
Diese Verschämtheit entspringt nicht einem Mangel an geistiger Selbstbeherrschung, sondern erklärt sich aus der überraschenden Neuheit eines Vorganges, der unerfahrenen Neulingen zwar die Fassung nicht ganz raubt, aber doch erheblichen Eindruck auf sie macht, falls die Anlage dazu in ihnen steckt; Nämlich, wie es trockene, schwerblütige Naturen gibt, so auch Menschen mit leicht erregbarem, schnellflüssigem, sofort im Antlitz zutage tretendem Blut. |
Haec, ut dixi, nulla sapientia abigit. |
Wie gesagt, daran vermag keine Weisheit des Alters etwas zu ändern. |
Alioquin haberet rerum naturam sub imperio, si omnia eraderet vitia. |
Könnte diese Weisheit wirklich alle Fehler und Mängel austreiben, so hätte sie Macht und Gewalt über die gesamte Natur. |
Quaecumque attribuit condicio nascendi et corporis temperatura, cum multum se diuque animus composuerit, haerebunt. |
Was von Geburt an unserem Körper mitgegeben ist, das bleibt, das haftet fest, mag sich der Geist noch so eingehend und noch so lange mit seiner eigenen Formung abgegeben haben. |
Nihil horum vetari potest, non magis quam accersi. |
So etwas läßt sich nicht durch Befehle vertreiben, genauswenig wie heraufbeschwören. |
Artifices scaenici, qui imitantur affectus, qui metum et trepidationem exprimunt, qui tristitiam repraesentant, hoc indicio imitantur verecundiam. |
Schauspieler, die alle Affekte nachahmen, Furcht und Angst auszudrücken vermögen, sich traurig geben können, sie stellen die Verschämtheit mit Hilfe folgender Merkmale dar. |
Deiciunt enim vultum, verba summittunt, figunt in terram oculos et deprimunt: Ruborem sibi exprimere non possunt; nec prohibetur hic nec adducitur. |
Das Haupt neigen sie nach unten, sprechen mit leise gedämpfter Stimme, richten den Blick auf den Boden und lassen ihn dort haften: Keiner Kunst aber gelingt es, das Erröten herbeizuzwingen; Es läßt sich nicht verhindern, aber auch nicht hervorzaubern. |
Nihil adversus haec sapientia promittit, nihil proficit: Sui iuris sunt, iniussa veniunt, iniussa discedunt. |
Keine Weisheit kennt ein Mittel dagegen, keine kann etwas gegen das Rotwerden ausrichten: Das sind die Vorgänge, die nur dem eigenen Gesetz folgen, ohne Geheiß da sind, ohne Geheiß verschwinden. |
Iam clausulam epistula poscit. Accipe, et quidem utilem ac salutarem, quam te affigere animo volo: ‚Aliquis vir bonus nobis diligendus est ac semper ante oculos habendus, ut sic tamquam illo spectante vivamus et omnia tamquam illo vidente faciamus‘. |
Schon ist es Zeit, den Brief zu schließen. Vernimm eine nützliche, heilsame Ermahnung und nimm sie dir recht zu Herzen: Einen tüchtigen Mann sollen wir uns zum Vorbild wählen und immer vor Augen haben, um gewissermaßen unter seinen Augen zu leben, stets unter seinem Blick zu handeln. |
Hoc, mi Lucili, Epicurus praecepit. Custodem nobis et paedagogum dedit, nec immerito: Magna pars peccatorum tollitur, si peccaturis testis assistit. |
Das, mein lieber Lucilius, ist ein Mahnwort Epikurs. Einen Hüter und Pädagogen gibt er uns zur Seite, und das mit vollem Recht: Ein großer Teil unserer Fehler wird schon dadurch beseitigt, dass dem Menschen, der dabei ist, einen Fehler zu begehen, ein Zeuge zur Seite steht. |
Aliquem habeat animus quem vereatur, cuius auctoritate etiam secretum suum sanctius faciat. |
Ein Vorbild muss die Seele haben, vor dem Ehrfurcht sie erfasst, unter dessen Einfluss sie auch ihre geheimsten Gefühle heiligt. |
O felicem illum, qui non praesens tantum, sed etiam cogitatus emendat! |
Glücklich der Mann, der nicht bloß durch seine Gegenwart, sondern schon dadurch, dass man an ihn denkt, den Mitmenschen bessert! |
O felicem, qui sic aliquem vereri potest, ut ad memoriam quoque eius se componat atque ordinet! |
Glücklich auch der Mensch, der für einen Mitmenschen solche Ehrfurcht zu empfinden vermag, dass die bloße Erinnerung an ihn das eigene Ich in Ordnung bringt und auch formt! |
Qui sic aliquem vereri potest, cito erit verendus. |
Wer einen anderen so innig zu verehren vermag, wird selbst bald verehrungswürdig werden. |
Elige itaque Catonem! Si hic tibi videtur nimis rigidus, elige remissioris animi virum Laelium. |
Nimm dir einen Mann wie Cato zum Vorbild! Oder wenn, erscheint er dir zu starr und unbeugsam, wähle dir einen Mann wie Laelius, er ist kein so starrer Prinzipienreiter! |