Plinius – Epistulae – Liber octavus – Epistula 22 – Übersetzung

C. PLINIUS GEMINO SUO S.
Nostine hos qui omnium libidinum servi, sic aliorum vitiis irascuntur quasi invideant, et gravissime puniunt, quos maxime imitantur? cum eos etiam, qui non indigent clementia ullius, nihil magis quam lenitas deceat. Atque ego optimum et emendatissimum existimo, qui ceteris ita ignoscit, tamquam ipse cotidie peccet, ita peccatis abstinet tamquam nemini ignoscat. Proinde hoc domi hoc foris hoc in omni vitae genere teneamus, ut nobis implacabiles simus, exorabiles istis etiam qui dare veniam nisi sibi nesciunt, mandemusque memoriae quod vir mitissimus et ob hoc quoque maximus Thrasea crebro dicere solebat: ‚Qui vitia odit, homines odit.‘ Quaeris fortasse quo commotus haec scribam. Nuper quidam — sed melius coram; quamquam ne tunc quidem. Vereor enim ne id quod improbo consectari carpere referre huic quod cum maxime praecipimus repugnet. Quisquis ille qualiscumque sileatur, quem insignire exempli nihil, non insignire humanitatis plurimum refert. Vale.


Deutsche Übersetzung: (Buch 8, Brief 22)
C. Plinius grüßt seinen Geminus

Kennst Du diese Leute, die sich, selbst Sklaven ihrer Lüste, über die Fehler andrer so aufregen, als ob sie sie darum beneideten, und am härtestesten bestrafen, wen sie am meisten nachahmen, während sich auch für die, die niemandes Nachsicht bedürfen, nichts mehr schickt als Milde? Ich für meine Person halte den für den besten, vollkommensten Menschen, der allen andern so verzeiht, als ob er selbst täglich fehlte, und sich so vor Verfehlungen hütet, als ob er niemandem etwas verziehe. Darum wollen wir daran festhalten, daheim, in der Öffentlichkeit, in allen Lebenslagen, daß wir gegen uns selbst unerbittlich sind, versöhnlich auch gegen die, die nur gegen sich selbst Nachsicht zu üben wissen, und uns einprägen, was ein sanftmütiger und eben darum großer Mann, nämlich Thrasea, häufig zu sagen pflegte: „Wer die Fehler der Menschen haßt, haßt die Menschen.“ Vielleicht fragst Du, weshalb ich Dir das sage. Neulich hat jemand – doch nein, lieber mündlich, oder besser auch das nicht! Ich fürchte nämlich, wenn ich verfolge, durchhechele und weitertrage, was ich an ihm mißbillige, könnte das im Widerspruch stehen zu dem, was jetzt eben vortrage. Wer es ist und wie er ist – Schwamm darüber; nenne ich ihn beim Namen, tut es als Beispiel nichts aus, nenne ich ihn nicht, leiste ich der Menschlichkeit einen guten Dienst.

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