Lateinischer Text: | Deutsche Übersetzung: |
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Epistula 5, Liber quartus – Servius Cicerone S. | Brief 5, Buch 4 |
Posteaquam mihi renuntiatum est de obitu Tulliae, filiae tuae, sane quam pro eo, ac debui, graviter molesteque tuli communemque eam calamitatem existimavi, qui, si istic affuissem, neque tibi defuissem coramque meum dolorem tibi declarassem. | Nachdem mir über den Tod Tullias, deiner Tochter, berichtet worden war, habe ich das überaus drückend und mit Unbehagen ertragen, und dieses Unglück als ein gemeinsames angesehen, der ich, wenn ich dabei gewesen wäre, dir nicht den Beistand versagt und dir persönlich mein Beileid bezeigt hätte. |
Etsi genus hoc consolationis miserum atque acerbum est, propterea quia, per quos ea confieri debet propinquos ac familiares, ii ipsi pari molestia afficiuntur neque sine lacrimis multis id conari possunt, uti magis ipsi videantur aliorum consolatione indigere quam aliis posse suum officium praestare, tamen, quae in praesentia in mentem mihi venerunt, decrevi brevi ad te perscribere, non quo ea te fugere existimem, sed quod forsitan dolore impeditus minus ea perspicias. | Obwohl diese Art von Trost jämmerlich und bitter/schmerzlich ist, deswegen weil die , durch welche dieser als Verwandte und Freunde gespendet werden muss, selbst vom gleichen unangenehmen Gefühl betroffen werden und nicht ohne viele Tränen das versuchen können, so dass sie selbst mehr des Trostes anderer zu bedürfen als den anderen ihren Dienst zu leisten können scheinen, habe ich dennoch beschlossen (decrevi) das , was mir in der Gegenwart in den Sinn gekommen ist, kurz an dich zu schreiben, nicht als ob ich dächte, dass dir das entgeht , sondern weil du vielleicht durch Schmerzgefühl behindert das weniger genau erkennen könntest. |
Quid est, quod tanto opere te commoveat tuus dolor intestinus? Cogita, quemadmodum adhuc fortuna nobiscum egerit: ea nobis erepta esse, quae hominibus non minus quam liberi cara esse debent, patriam, honestatem, dignitatem, honores omnes. | Was gibt es, dass dich so sehr dein innerlicher Schmerz bewegt? Bedenke, wie bis jetzt das Schicksal mit uns verfahren ist: dass uns das entrissen wurde, was den Menschen nicht weniger als Kinder teuer sein muss: das Vaterland, der gute Name, der Rang und alle Ehrenämter. |
Hoc uno incommodo addito quid ad dolorem adiungi potuit? aut qui non in illis rebus exercitatus animus callere iam debet atque omnia minoris existimare? An illius vicem, credo, doles? | Nachdem diese eine Unglück hinzugegeben worden war, was konnte zum Schmerz hinzugefügt werden? oder welches nicht in jenen Dingen geschulte Gemüt muss bereits dickhäutig sein und alles für geringer schätzen? Oder bedauerst du, glaube ich, das Los jener? |
Quoties in eam cogitationem necesse est et tu veneris et nos saepe incidimus, hisce temporibus non pessime cum iis esse actum, quibus sine dolore licitum est mortem cum vita commutare? | Wie oft musst sowohl du auf diesen Gedanken gekommen sein als auch wir stießen oft darauf, dass zu diesen Zeiten nicht am schlimmsten mit denen umgegangen wurde, welchen es ohne Schmerz erlaubt war, den Tod mit dem Leben zu vertauschen. |
Quid autem fuit, quod illam hoc tempore ad vivendum magno opere invitare posset? quae res? quae spes? quod animi solatium? | Aber was hat es gegeben, was jene zu dieser Zeit besonders zum Leben einladen könnte. Welche Sache? Welche Hoffnung? Welcher Trost für die Seele? |
Ut cum aliquo adolescente primario coniuncta aetatem gereret? licitum est tibi, credo, pro tua dignitate ex hac iuventute generum deligere, cuius fidei liberos tuos te tuto committere putares. | Dass sie mit irgendeinem vornehmen jungen Mann verbunden das Leben verbringt? Es war dir erlaubt, glaube ich, entsprechend deiner Stellung aus dieser Jugend einen Schwiegersohn auszuwählen, von dem du glaubtest, dass du dessen Verlässlichkeit deine Kinder gefahrlos überläßt. |
An ut ea liberos ex sese pareret, quos cum florentes videret laetaretur? qui rem a parente traditam per se tenere possent, honores ordinatim petituri essent, in re publica, in amicorum negotiis libertate sua usuri? | Oder dass sie Kinder auf die Welt brachte, und sich freute, während sie diese in Ansehen stehend sah. Diese würden das vom Vater übergebene Vermögen aus eigener Kraft festhalten können, sie würden die Ehrenämter der Reihe nach anstreben wollen, um im Staat und in den Angelegenheiten der Freunde von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen. |
Quid horum fuit, quod non, priusquam datum est, ademptum sit? „At vero malum est liberos amittere.“ Malum: nisi hoc peius est, haec sufferre et perpeti. Quae res mihi non mediocrem consolationem attulerit, volo tibi commemorare, si forte eadem res tibi dolorem minuere possit. | Was von diesen Dingen / davon hat es gegeben, was nicht, bevor es gegeben wurde, weggenommen wurde? „Aber es ist doch ein Unglück, seine Kinder zu verlieren.“ Ein Unglück – wenn nicht das noch schlimmer ist, diese Dinge zu ertragen und erleiden. Dieser Umstand dürfte mir einen nicht geringen Trost gewährt haben, ich will ihn dir in Erinnnerung bringen, sollte möglicherweise (forte) dieselbe Sache dir den Schmerz verringern können. |
Ex Asia rediens cum ab Aegina Megaram versus navigarem, coepi regiones circumcirca prospicere: post me erat Aegina, ante me Megara, dextra Piraeeus, sinistra Corinthus, quae oppida quodam tempore florentissima fuerunt, nine prostrata et diruta ante oculos iacent. | Als ich auf der Rückkehr von Kleinasien von Aegina Richtung Megara segelte, begann ich die Gegenden ringsum vor mir zu sehen. Hinter mir war Ägina, vor mir Megara, rechts der Piräus, links Korinth, lauter Städte, die zu einer bestimmten Zeit höchst blühend waren, jetzt vernichtet und zerstört vor Augen liegen. |
Coepi egomet mecum sic cogitare: „hem! nos homunculi indignamur, si quis nostrum interiit aut occisus est, quorum vita brevior esse debet, cum uno loco tot oppidum cadavera proiecta iacent? Visne tu te, Servi, cohibere et meminisse hominem te esse natum?“ Crede mihi, cogitatione ea non mediocriter sum confirmatus. Hoc idem, si tibi videtur, fac ante oculos tibi proponas: | Ich selbst begann bei mir so überlegen: Hm! Wir kleine Menschen sind entrüstet/empört, wenn irgendwer von uns umgekommen ist oder getötet wurde, deren Leben allzu kurz sein muss, wobeihier an einem einzigen Ort die Leichname so vieler Städte hingestreut daliegen? Willst du dich, mein Servius, zügeln und daran erinnern, dass du als ein Mensch geboren bist?“ Glaub mir, durch diesen Gedanken(gang) bin ich nicht wenig ermutigt/gestärkt worden. Genau dasselbe, wenn es dir gut scheint, lass dir vor Augen stellen/halten: |
Modo uno tempore tot viri clarissimi interierunt, de imperio populi Romani tanta deminutio facta est, omnes provinciae conquassatae sunt; in unius mulierculae animula si iactura facta est, tanto opere commoveris? | Eben erst sind zu einem einzigen Zeitpunkt so viele sehr bekannte Männer umgekommen, vom Hoheitsrecht des röm. Volkes ist eine so große Verminderung gemacht worden, alle Provinzen sich erschüttert worden. Wenn bei der lieben Seele einer einzigen kleinen Frau ein Verlust erlitten wurde, wirst du so sehr bewegt? |
Quae si hoc tempore non diem suum obisset, paucis post annis tamen ei moriendum fuit, quoniam homo nata fuerat. Etiam tu ab hisce rebus animum ac cogitationem tuam avoca atque ea potius reminiscere, quae digna tua persona sunt: | Wenn diese nicht zu diesem Zeitpunkt gestorben wäre, hätte diese dennoch wenige Jahre später sterben müssen, weil sie als ein Mensch geboren worden war. Lenke auch du den Sinn und dein Denken von diesen Dingen ab/fort und erinnere dich eher an das, was deiner Person würdig ist: |
Illam, quamdiu ei opus fuerit, vixisse, una cum re publica fuisse, te, patrem suum, praetorem, consulem, augurem vidisse, adolescentibus primariis nuptam fuisse, omnibus bonis prope perfunctam esse; | Dass jene, so lange es für sie nötig war, gelebt hat, dass sie zusammen mit der Republik gelebt hat, dass jene dich, ihren eigenen Vater, als Prätor, Konsul und als Augur gesehen hat, dass jene mit jungen Männern ersten Ranges verheiratet war, beinahe alle Güter (vollständig) genossen hat; |
Cum res publica occideret, vita excessisse: quid est, quod tu aut illa cum fortuna hoc nomine queri possitis? | Dass jene, als die Republik unterging, aus dem Leben geschieden ist: Was gibt es, worüber ihr euch, du oder jene, deswegen beim Schicksal beklagen könnt(et). |
Denique noli te oblivisci Ciceronem esse et eum, qui aliis consueris praecipere et dare consilium, neque imitari malos medicos, qui in alienis morbis profitentur tenere se medicinae scientiam, ipsi se curare non possunt, sed potius, quae aliis praecipere soles, ea tute tibi subiice atque apud animum propone. | Vergiss bitte endlich nicht, dass du Cicero bist und einer/dieser, der anderen Vorschriften und Rat zu geben gewohnt ist, und ahme nicht schlechte Ärzte nach, die bei fremden Krankheiten versichern, sie hätten das Wissen der Medizin, sich selbst aber nicht behandeln können, sondern stelle du dir eher dasvor, was du anderen vorzuschreiben pflegst, und halte dir das geistig vor Augen. |
Nullus dolor est, quem non longinquitas temporis minuat ac molliat: hoc te exspectare tempus tibi turpe est ac non ei rei sapientia tua te occurrere. Quod si qui etiam inferis sensus est, qui illius in te amor fuit pietasque in omnes suos, hoc certe illa te facere non vult. | Es gibt keinen Schmerz, den die Länge der Zeit nicht vermindern oder mildern könnte: Für dich wäre dies schändlich, dass du auf diese Zeit wartest und nicht dieser Sache mit deiner Weisheit gegegnest. Wenn also die Verstorbenen (inferis: dat. poss.) irgendeine Empfindung haben, die (= sensus) von jener (= Tullia) Liebe zu dir und Zärtlichkeit gegen alle Ihrigen war, will jene sicherlich nicht, dass du das machst. |
Da hoc illi mortuae, da ceteris amicis ac familiaribus, qui tuo dolore maerent, da patriae, ut, si qua in re opus sit, opera et consilio tuo uti possit. Denique, quoniam in eam fortunam devenimus, ut etiam huic rei nobis serviendum sit, noli committere, ut quisquam te putet non tam filiam quam rei publicae tempora et aliorum victoriam lugere. | Gewähre das jener Toten, gewähre es den übrigen Freunden und Angehörigen, die über deinen Schmerz traurig sind, gewähre es dem Vaterland, dass es sich, wenn es in irgendeiner Sache nötig sein sollte, deiner Hilfe und deines Rates bedienen kann. Schließlich, weil wir in dieses Schicksal geraten, dass wir sogar dieser Sache dienen müssen, lass bitte nicht zu, dass irgendwer glaubt, dass du nicht so sehr die Tochter als vielmehr die Lage des Staates und den Sieg der anderen betrauerst. |
Plura me ad te de hac re scribere pudet, ne videar prudentiae tuae diffidere; quare, si hoc unum proposuero, finem faciam scribendi: | Ich schäme mich, noch mehr an dich über diese Sache zu schreiben, damit ich nicht deiner Klugheit zu misstrauen scheine; Daher werde ich zu schreiben (scribendi) aufhören, wenn ich diesen einzigen Punkt vorgelegt habe: |
Vidimus aliquoties secundam pulcherrime te ferre fortunam magnamque ex ea re te laudem apisci; fac aliquando intelligamus adversam quoque te aeque ferre posse neque id maius, quam debeat, tibi onus videri, ne ex omnibus virtutibus haec una tibi videatur deesse. | Wir haben es mehrmals gesehen, dass du auf schönste Weise das Glück ertragen und du dir daraus großes Lob erworben hast. Lass uns irgendwann einmal erkennen, dass du auch das Unglück in gleicher Weise ertragen kannst und dass dir nicht diese Last als eine größere, als sie sein darf, scheint, damit dir nicht von allen Tugenden diese als einzige abzugehen/zu fehlen scheint. |
Quod ad me attinet, cum te tranquilliorem animo esse cognoro, de iis rebus, quae hic geruntur, quemadmodumque se provincia habeat, certiorem faciam. Vale. | Was mich betrifft, werde ich ich dich, wenn/sobald ich weiß, dass du im Herzen ruhig er bist, über diese Angelegenheiten, die hier geschehen, und wie in welchem Zustand sich die Provinz befindet, informieren. Leb wohl! |