Lateinischer Text: | Deutsche Übersetzung: |
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Was ist Wesentlich? (Liber tertius (3)) | |
(10) Magna ista, quia parui sumus, credimus: multis rebus non ex natura sua sed ex humilitate nostra magnitudo est. | Wir glauben and diese bedeutenden Dinge da, weil wir klein sind: Größe durch viele Dinge ist nicht von seiner Natur her, sondern von unserer Niedrigkeit. |
Quid praecipuum in rebus humanis est? | Was ist wesentlich im Leben der Menschen? |
Non classibus maria complesse nec in Rubri maris litore signa fixisse nec, deficiente ad iniurias terra, errasse in oceano ignota quaerentem, sed animo omne vidisse et, qua maior nulla victoria est, vitia domuisse: | Nicht mit Flotten die Meere angefüllt zu haben, noch am Ufer des Roten Meeres Feldzeichen ausgestellt zu haben, noch auf dem Ozean herumgeirrt zu sein, auf der Suche nach Unbekanntem, wenn das Land nicht mehr ausreicht um Unrecht zu tun, sondern mit dem Geist alles gesehen zu haben und seine Laster bezwungen zu haben, was überhaupt der größte Sieg ist: |
Innumerabiles sunt qui populos, qui urbes habuerunt in potestate, paucissimi qui se. | Unzählbar sind die, die Völker und Städte in ihrer Macht gehabt haben, sehr wenige, die sich selbst in der Hand haben. |
(11) Quid est praecipuum? Erigere animum supra minas et promissa fortunae; nihil dignum putare, quod speres. | Was ist wesentlich? Den Geist zu erheben über die Bedrohungen und die Verheißungen des Glücks; zu glauben, dass jenes nichts hat, was würdig ist, dass man es erhofft: |
Quid enim habet, quod concupiscas? Qui a divinorum conuersatione quotiens ad humana recideris, non aliter caligabis quam quorum oculi in densam umbram ex claro sole redierunt. | Denn was hat es denn, das würdig ist, dass man es anstrebt? Sooft du von der Beschäftigung mit göttlichem zum menschlichen zurückkehrst, wirst du ebenso geblendet sein, wie diejenigen, deren Augen von der hellen Sonne in den dichten Schatten zurückgekehrt sind. |
(12) Quid est praecipuum? Posse laeto animo aduersa tolerare; quicquid acciderit, sic ferre, quasi tibi volueris accidere debuisses enim velle, si scisses omnia ex decreto dei fieri: flere, queri et gemere desciscere est. | Was ist wesentlich? Mit heiterem Sinn die Schicksalsschläge ertragen zu können; und was auch immer passieren mag, es so zu ertragen, als ob du gewollt hättest, dass es dir passiert, denn du hättest es wollen müssen, wenn du gewusst hättest, dass alles nach einem Beschluss Gottes geschieht: weinen, klagen, jammern bedeutet abtrünnig werden. |
(13) Quid est praecipuum? Animus contra calamitates fortis et contumax, luxuriae non auersus tantum sed infestus, nec avidus periculi nec fugax, qui sciat fortunam non expectare sed facere et adversus utramque intrepidus inconfususque prodire, nec illius tumultu nec huius fulgore percussus. | Was ist wesentlich? Ein gegenüber dem Unglück mutiger und unbeugsamer Geist, der nicht nur dem Überfluss abgeneigt ist, sondern ihn sogar hasst, der die Gefahr sucht noch vor ihr flieht, der es versteht, das Schicksal nicht abzuwarten, sondern es selbst in die Hand zu nehmen und gegenüber beiden (Glück und Unglück) ohne Furcht und ohne Verwirrung aufzutreten, weder durch die Unruhe des einen noch durch den Glanz des anderen erschüttert. |
(14) Quid est praecipuum? Non admittere in animo mala consilia, puras ad caelum manus tollere, nullum bonum petere quod, ut ad te transeat, aliquis dare debet aliquis amittere, optare quod sine aduersario optatur: | Was ist wesentlich? Keine schlechten Absichten in seinem Geist zuzulassen, die Hände rein zum Himmel zu erheben, kein (materielles) Gut anzustreben, dass irgendwer hergeben, oder irgendwer verlieren muss, damit es zu dir übergeht, zu wünschen, was man ohne Gegner wünscht: |
Bonam mentem; cetera magno aestimata mortalibus, etiamsi quis domum casus adtulerit, sic intueri quasi exitura qua venerint. | Einen guten Geist; die übrigen Dinge, die von den Sterblichen (Menschen) hoch eingeschätzt werden, selbst wenn irgendein Zufall dir ein Haus (herbei)gebracht hat, so zu betrachten, als ob sie wieder vergehen würden, wie sie gekommen sind. |
(15) Quid est praecipuum? Altos supra fortuita spiritus tollere, hominis meminisse, ut, sive felix eris, scias hoc non futurum diu, sive infelix, scias hoc te non esse, si non putes. | Was ist wesentlich? Seinen Geist hoch über die Zufälligkeiten zu erheben, sich zu erinnern, dass man nur ein Mensch ist, so dass man weiß, falls man glücklich ist, dass es nicht lange dauern wird, dass man weiß falls man unglücklich ist, dass man es nicht ist, wenn man es nicht glaubt. |
(16) Quid est praecipuum? In primis labris animam habere: Haec res efficit non e iure Quiritium liberum sed e iure naturae. | Was ist wesentlich? Die Seele auf den vordersten Lippen zu haben: Diese Einstellung macht frei, nicht nach dem römischen Recht, sondern nach dem Naturrecht. |
Liber est autem, qui seruitutem suam effugit. | Frei aber ist der, der seiner Knechtschaft entflieht. |